5 Dinge, die dieses Jahr ganz anders als erwartet gelaufen sind, und was Hoffnung für 2023 macht
“An der Börse ist alles möglich – auch das Gegenteil.” Das wusste bereits Börsenlegende André Kostolany. Auch wenn das Urgestein der Wall Street nicht mehr unter uns weilt, ist sein Zitat in 2022 aktueller als je zuvor.
Das alles überschattende Thema in diesem Jahr war, wenig verwunderlich, der Krieg in der Ukraine.
Auch für ETF-Fans hatte der Kriegsausbruch direkte Folgen aufs Portfolio. Nicht nur, weil die Aktienkurse in quasi allen Ländern fielen. Einige Indizes und ETFs waren darüber hinaus hinsichtlich ihrer Ausrichtung und Zusammensetzung unmittelbar und nachhaltig betroffen.
Wenige Tage nach Kriegsausbruch entschieden die Indexanbieter rund um MSCI, FTSE und Co., den Russland-Anteil aus ihren Indizes zu streichen. Damit mussten die ETF-Anbieter ihre russischen Aktien verkaufen oder abschreiben – da diese in der Zwischenzeit teilweise nicht mehr ohne weiteres handelbar waren.
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Auswirkungen auf globale ETF-Portfolios überschaubar
Zu Jahresbeginn machte der Russland-Anteil im MSCI Emerging Markets etwa 4% aus, in globalen Indizes aus Industrie- und Schwellenländern entsprechend noch weniger. Daher konnte der Verlust der russischen Titel durch die anderen Märkte abgefedert werden.
Wohl dem also, der breit diversifiziert angelegt hat. Ganz anders sah es nämlich bei jenen aus, die russische Einzelaktien gekauft haben oder spezialisierte ETFs mit hohem Russland-Exposure. Hier ging es mit Kriegsausbruch rapide bergab.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Political-Risk-Factor, den man beim Investment in Schwellenländer eingeht, hat sich in diesem Jahr speziell in Russland auf unschöne Weise materialisiert.
Die realwirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges lassen sich vor allem anhand der Probleme an den Rohstoff- und Energie-Märkten beobachten. Durch Sanktionen und die Zerstörung infolge des Krieges sind auch die Preise für Öl, Gas, Weizen und weitere Rohstoffe gestiegen – so liegt in der Ukraine unter anderem eines der größten Lithium-Vorkommen Europas. Lithium wird vor allem für die Batterieproduktion verwendet. Der Krieg heizte also auch die Preissteigerung weiter an und fungierte als eine Art Brandbeschleuniger für die Inflation.
2. Überraschung des Jahres: Aktien können auch fallen
Viele von steigenden Kursen verwöhnte Anlegerinnen und Anleger mussten sich in diesem Jahr zum ersten Mal mit ungewohnten Kursverlusten im Depot abfinden: Alle vorangegangen Krisen und Unsicherheiten in den letzten rund 10 Jahren konnten den Aktienmärkten höchstens kurzfristig etwas anhaben. Selbst der Corona-Crash im März 2020 wurde innerhalb weniger Wochen nahezu komplett ausgebügelt. Auf Jahresbasis schnitten ETFs auf den MSCI World seit der Finanzkrise 2008 lediglich in zwei Jahren (2011 und 2018) leicht negativ ab. Sonst gab es ausschließlich – zum Teil überdurchschnittlich hohe – jährliche Renditen zu bejubeln.
Daher ist es wenig verwunderlich, dass das Jahr 2022 als ziemlich schwaches Börsenjahr in die Geschichtsbücher eingeht – vorausgesetzt natürlich, es kommt keine außergewöhnliche Jahresendrally dazwischen, die jegliche Kursverluste der letzten Monate ausradiert.
Sünden-Aktien hui, ESG pfui?
Dass es im Leben und an den Märkten doch immer anders kommt als man denkt, zeigt auch der Blick auf die diesjährige Entwicklung der verschiedenen Branchen. Während die Aktien von Ölkonzernen, Rüstungsunternehmen und Tabak-Herstellern in diesem Jahr klar outperformen konnten, verloren Technologie-Aktien überdurchschnittlich. Oder anders gesagt: Totgesagte leben (doch) länger (als man glaubt).
Entwicklung MSCI World vs. MSCI World ESG (01.01.2022 - 14.12.2022)
Das soll – soviel sei gesagt – kein Plädoyer gegen ESG-gefilterte ETFs sein.
Denn in den letzten Jahren schnitten eben diese ESG-ETFs zum Teil sogar besser ab als normale ETFs. Daher sollte jede und jeder ganz einfach für sich selbst entscheiden, ob Nachhaltigkeit beim Investment in ETFs eine Rolle spielen soll oder nicht. Dass man dabei aber den breiten Markt immer mal wieder leicht under- oder out-performen kann, ist ganz einfach der Tatsache geschuldet, dass man nie den ganzen Markt im Portfolio hat und einige Branchen zum Teil ganz fehlen (Bspw. Öl, Gas, Tabak, Rüstung) – auch wenn die meisten Indizes mit Nachhaltigkeitsfiltern so konzipiert sind, dass sie eine möglichst ähnliche Sektorabdeckung wie der Ausgangsindex aufweisen.
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Schwellenländer laufen Industrieländern nur hinterher
Noch weniger Freude als ohnehin haben die Aktien auf Schwellenländer gemacht. Neben dem (quasi) Totalverlust von russischen Aktien sorgte in diesem Jahr vor allem China für Kopfschmerzen bei ETF-Fans. Die Null-Covid-Politik und die Spannungen mit Taiwan waren hierbei die beiden bestimmenden Themen.
Die weiter andauernden Covid-Restriktionen legen immer wieder Produktionsstätten lahm. Das hat natürlich auch direkte Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft, da China als einer der größten Exporteure der Welt eine entscheidende Rolle im globalen Wirtschaftskreislauf spielt. Wann sich diese Situation entspannt, bleibt vorerst abzuwarten.
Gleiches gilt auch für den Konflikt zwischen China und Taiwan. Taiwan gilt als die Herzkammer der Halbleiterindustrie und ist damit nahezu unersetzbar für weltweit agierende Unternehmen. Egal ob Computer, Smartphones, Küchengeräte, Medizintechnik oder der Automobil-Sektor – überall werden Halbleiter benötigt.
Durch die Unsicherheiten im chinesischen und taiwanesischen Markt kam es zu deutlichen Kursrückgängen, welche von den Gewinnen der rohstoff-lastigeren Schwellenländer wie Brasilien und Co. nicht vollständig aufgefangen werden konnten. Folglich sahen wir für Schwellenländer ein noch schlechteres Börsenjahr als in den entwickelten Märkten.
Entwicklung Schwellenländer-Aktien vs. Industrieländer-Aktien (01.01.2022 - 14.12.2022)
Schlimmer geht's immer? Stimmt: zum Beispiel beim Bitcoin.
Der Krypto-Markt erlebt ein Horror-Jahr mit Verlusten von 60-90% je nachdem, auf welche Kryptowährung man schaut.
Platzt nun die Krypto-Blase? Darum geht es in unserem justETF-Interview mit Prof. Dr. Philipp Sandner. Philipp Sandner ist Blockchain- und Krypto-Experte am Blockchain-Center der Frankfurt School und wirft mit unserer Kollegin Susanne einen Blick auf die aktuellen Geschehnisse am Krypto-Markt. Er verrät außerdem, warum Krypto-ETNs eine der besseren Lösungen sind, wenn man in Kryptowährungen investieren möchte.
4. Unwort des Jahres: Inflation
Unser Titel “Unwort des Jahres” geht an die unliebsame Inflation. Diese ist in diesem Jahr auf lange vergessen geglaubte Höhen im zweistelligen Bereich geklettert und nagt immer weiter an der Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger.
Dabei kündigte sich die Inflation bereits im letzten Jahr an. Spätfolgen von Corona und die damit verbundenen Lieferengpässe sorgten bereits damals für steigende Preise. Der Krieg in der Ukraine befeuerte die Inflation noch zusätzlich.
Was bedeutet Inflation für ETF-Fans?
Kurz- und mittelfristig muss man konstatieren, dass man sich nur schwer vor steigender Inflation schützen kann. Wichtig ist vor allem, zu versuchen, seine Sparraten konstant zu halten oder – soweit möglich – diese sogar an die Inflation anzupassen. Das geht beispielsweise mit einer Dynamisierung der Sparrate bei Online-Brokern wie der ING oder Scalable Capital.
Doch keine Sorge: Denn langfristig lässt sich mit Aktien bzw. Aktien-ETF durchaus erfolgreich gegen die Inflation vorgehen. Viele Unternehmen schaffen es nämlich, ihre höheren Kosten wiederum an die Endkunden weiterzugeben. Das tut zwar als Konsument im Supermarkt oder an der Tankstelle zunächst weh, sorgt bei den Unternehmen – von denen viele auch in globalen Aktien-Indizes vertreten sind – für höhere Gewinne. Und da wir als ETF-Fans eben an genau diesen Unternehmen beteiligt sind, können wir uns damit langfristig gegen Inflation wappnen. Ganz wichtig: Historisch und langfristig gesehen sind die Renditen von Aktien deutlich höher gewesen als die Inflationsraten.
5. Comeback des Jahres: Zinsen
So wie die Inflation zurück ist, sind es auch die Zinsen. Manche – wie der Autor dieses Beitrags – kennen Zinsen quasi nur noch aus Erzählungen und hatten durch die jahrelang andauernde Nullzinspolitik kaum Berührungspunkte zu festverzinslichen Anlagen. Doch jetzt wo es wieder Zinsen gibt, ändert sich das und die Geldanlage auf dem Tagesgeldkonto wird wieder interessanter, oder?
Vorsicht! Denn auch wenn es heute nominal mehr Zinsen als noch vor einem Jahr auf Tagesgeld-Konten und anderen festverzinsliche Anlagen gibt, sollte man immer auf die reale Verzinsung achten. Was bedeutet das nun konkret? Als Realzins wird die Verzinsung bezeichnet, die nach Abzug der Inflation übrig bleibt.
Haben wir also ein – auf den ersten Blick – klasse Neukundenangebot für ein Tagesgeldkonto mit 2% Zinsen, während die Inflation aber bei 10% liegt, so ist unser Realzins bei -8% und damit sogar negativer als in den letzten Jahren. Ergo: Tagesgeld ist nicht die Lösung, um langfristig Rendite zu erwirtschaften bzw. Inflation auszugleichen! Als risikoarme Komponente zur Stabilisierung des Portfolios stellt Tagesgeld aber durchaus wieder eine Alternative dar.
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Anleihen als sicherer Hafen?
Besonders schwer traf es dieses Jahr vor allem Anlageklassen, die stark am Zinsumfeld hängen und damit überproportional von Zinsänderungen betroffen sind. Ein anschauliches Beispiel bieten hierfür globale Immobilien-Aktien, die in diesem Jahr schlechter als der breite Aktienmarkt abschnitten. Steigende Zinsen sorgen für zusätzliche Kosten bei der Refinanzierung. Darüber hinaus sorgt die Inflation für steigende Kosten für Instandhaltung sowie dem Neubau von Objekten.
Entwicklung Aktien vs. Immobilien (01.01.2022 - 14.12.2022)
Nun zählen Immobilien-Aktien zweifelsohne zu den risikobehafteten Assets und korrelieren durchaus mit “normalen” Aktien. Ganz anders sieht es hingegen bei Anleihen aus – die in vielen Depots als Sicherheitsanker für schlechte Zeiten einen festen Platz einnehmen. Doch auch das klappte in diesem Jahr mehr schlecht als recht. Anleihen-ETFs verloren zum Teil bis zu einem Drittel ihres Wertes.
Doch warum erlebten Anleihen und damit auch Mischportfolios aus Aktien und Anleihen ein solch schlechtes Jahr? Der Grund hierfür sind die rapide gestiegenen Zinsen. Denn vor allem langlaufende Anleihen reagieren stark auf Zinsänderungen. Ihr sogenanntes Zinsänderungsrisiko ist also hoch.
Steigen die Zinsen, werden Anleihen, die in den letzten Jahren zu einem geringeren Zinssatz als dem aktuell am Markt verfügbaren emittiert wurden, abgewertet. Bereits emittierte Anleihen, die auch in entsprechenden ETFs enthalten sind, werden also abgewertet. Fallen die Zinsen jedoch, so steigen Anleihe-Kurse wiederum, da auf bereits ausgegebenen Anleihen ein höherer Zins-Kupon steht als aktuell am Markt zu haben ist. So wie es in den vorangegangenen Jahren der Fall war.
Was heißt das für ETF-Fans? Wer Anleihen als Sicherheitsanker im Portfolio beimischen und das damit verbundene Zinsrisiko minimieren möchte, sollte nach Möglichkeit auf kurzlaufende Anleihen zurückgreifen oder – im Rahmen der Einlagensicherung von 100.000 pro Person und Bankinstitut – auf ein Tagesgeldkonto zurückgreifen. Wer langlaufende Anleihen-ETFs seinem Portfolio beimischt, sollte sich hingegen dem Zinsänderungsrisiko bewusst sein.
Somit ist eigentlich alles zum Börsenjahr 2022 gesagt.
Doch wie geht's nun weiter? Und was nehmen wir Positives aus diesem Jahr mit?
Zunächst einmal die beste Nachricht des Jahres:
Es ist vorbei.
Und damit geht auch eines der schwächsten Börsenjahre und ein noch schlechteres Jahr aus Sicht des Friedens in Europa zu Ende.
Dennoch bleiben wir optimistisch – was bleibt uns auch anderes übrig? Die Börsen werden sich früher oder später wieder erholen und auch auf geopolitischer Ebene bleibt zu hoffen, dass es besser wird. Bis dahin wünschen wir dir, deiner Familie und Freunden erstmal ein besinnliches Weihnachtsfest und freuen uns, dich im kommenden Jahr wieder bei justETF begrüßen zu dürfen. Auf ein erfolgreiches ETF-Jahr 2023!
Dein justETF-Team
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